Die aktuelle Krise macht sichtbar: Das Gesundheitssystem wurde jahrzehntelang aus Profitinteressen demontiert. Angesichts der Gefahr, dass die Pandemie außer Kontrolle gerät und die Zahl der Erkrankten das desolate System überfordert, wird nun im Hauruckverfahren ein Potemkinsches Dorf errichtet, wird eine Fassade hochgezogen, die vorspiegeln soll, das deutsche Gesundheitssystem schramme nicht etwa haarscharf an der Katastrophe vorbei, sondern alles könne lässig gemeistert werden.
Doch in Wirklichkeit sind es – neben den vielen Lohnabhängigen, die die Versorgung der Bevölkerung aufrecht erhalten – die GesundheitsarbeiterInnen, die mit Leib und Leben für die gesamte Gesellschaft gerade stehen müssen. Dabei waren sie es, seit Jahrzehnten warnen, dass mit der Gesundheit kein Profit gemacht werden dürfe, und die mehr Personal, bessere Arbeitsbedingungen gefordert hatten. Jetzt ist die Zeit, dass eine Mehrheit der Gesellschaft diese Forderungen mit Nachdruck vertritt. Gesundheit ist nicht Privatsache. Erreichen wir die Vergesellschaftung des Gesundheitssystems.
Zuhause gibt es keine Schwester Stephanie
Weil die Grenzen geschlossen sind, bleiben Betreuungs- und Pflegekräfte aus Osteuropa fort. Nun wird klar, dass die Frauen, die sonst aus Rumänien, Bulgarien, Polen oder anderen osteuropäischen Ländern kommen und meist illegal beschäftigt werden, „systemrelevant“ sind. Denn 100 000 bis 200 000 Pflegebedürftige, so die Befürchtung, könnten demnächst von ihnen nicht mehr versorgt werden. Die Arbeit dieser Frauen, die Tag für Tag unter oft schlechten Arbeitsbedingungen und ohne Sozialversicherung Alte und Kranke betreuen, müssen nun deren Angehörige verrichten, dafür vielleicht in Kurzarbeit gehen oder zeitweise aus der Lohnarbeit aussteigen.
In den Alten- und Pflegeheimen werden sie wohl keinen Platz für ihre pflegebedürftigen Verwandten finden. Die sind für viele zu teuer und zudem überfüllt. Jetzt benötigen dort auch Heimbewohner zusätzlich intensive Betreuung, die eigentlich ins Krankenhaus gehören, da viele Patienten aus den Kliniken verlegt werden, um Betten für die zu erwartenden Corona-Patienten frei zu machen. Die Umverlegungen drücken auch auf die ambulante Pflege, die – so heißt es aus Insider-Kreisen – auf eine Katastrophe zusteuert. Gibt es schon in vielen Kliniken für die GesundheitsarbeiterInnen viel zu wenig Schutzausrüstung oder Zugang zu Tests, sind die Möglichkeiten bei den ambulanten Einrichtungen noch viel stärker eingeschränkt. Noch enger wird es, weil während dem Lockdown Einrichtungen der Tages- und Kurzzeitpflege nur eingeschränkt arbeiten. Die Tagespflege betreut oft Menschen die keine Angehörigen zuhause haben, die sie versorgen könnten.
Schlechte Pflege bedeutet Profit
Für die Arbeitenden im Gesundheitswesen kommt jedoch der jetzt entstehende zusätzliche Druck nur obendrauf. Sie sind den Pflegenotstand seit Jahren gewohnt. 800.000 Pflegebedürftige verteilen sich deutschlandweit auf 11.700 vollstationäre Pflegeheime, die momentan als hochgefährliche Orte für Pflegebedürftige und Pflegende gelten. Es ist nicht ausreichende Schutzkleidung und Desinfektionsmittel vorhanden, um die Risikogruppen zu versorgen und zu schützen. In vielen Pflegeheimen gibt es nicht genug Räume um Erkrankte zu isolieren oder es fehlt qualifiziertes Personal, die Isolierten zu betreuen. Deshalb gilt in vielen Einrichtungen auch ein Aufnahmestopp.
Wenn sich das Coronavirus rasant in den Einrichtungen verbreitet, ist dies kein Wunder. Die dort infizierten Menschen sind dann in den Krankenhäusern auf Beatmungsgeräte und Therapien angewiesen. Ein Viertel aller Todesopfer des Virus in Spanien sind Heimbewohner. Unter diesen Bedingungen kann auch die Intensivmedizin vielen Betroffenen bald nicht mehr weiterhelfen. 41% der Pflegeheime werden von Privatfirmen betrieben (wie z.b. Alloheim oder Korian) bei denen Investoren beteiligt sind und sie sollen zweistellige Renditen für Finanzinvestoren und Kapitalgesellschaften abwerfen. Bei den Ausschüttungen sahnen Leute Versicherungsgelder ab, die nichts mit der Pflege zu tun haben! Pflegeheime bringen den Investoren fette Rendite. Die dort Angestellten arbeiten unter Dauerhochdruck für geringe Bezahlung. Viele Heimbewohner machen die hohen Kosten arm – trotz wegen chronischer Unterbesetzung schlechter Pflege.
Prekär im Krankenhaus
Seit Jahrzehnten wird das Gesundheitssystem kaputt privatisiert. In den Kliniken fehlen Geräte, es mangelt an Personal, hieß es noch im Juni 2019 aus Fachkreisen. Als geeignete Maßnahme dagegen fordert eine Studie der reaktionären Bertelsmann-Stiftung, dass von 1400 Kliniken in Deutschland mindestens 800 schließen sollten. Irrwitzige Begründung: Schließe man die Kliniken, könne der Mangel an Pflegekräften gemindert werden. Denn schließlich gebe es ja zu wenig medizinisches Personal, um die Klinikzahl aufrecht zu erhalten.
Das die Unterfinanzierung mit dem DRG-System den Krankenhäusern zu schaffen macht, ist nicht neu. In den letzten 30 Jahren wurde radikal gespart oder privatisiert. Die GesundheitsarbeiterInnen sollen ihre Arbeit an Menschen, Pflege und Heilung, Profitinteressen unterordnen.
Die Zustände im Gesundheitswesen werden immer desaströser und die Corona Krise legt dies nun endgültig offen. Der Gesundheitsmarkt ist ein Milliardengeschäft. Privatkliniken, wie die Rhön-Klinikum AG, Helios, Asklepios und die Sana-Kliniken und ihre Aktionäre profitieren desto mehr, je schlechter die Arbeitsbedingungen und damit die Pflege. In Zeiten der Corona Krise soll uns nun das Bild eines eigentlich leistungsfähigen und stabilen Gesundheitssystems präsentiert werden, dass nur durch die Notsituation an seine Grenzen gekommen ist. Mit dem Krankenhausentlastungsgesetz stellt die Regierung 55 Milliarden € zur Verfügung, die wohl nicht mal für die notwendigsten Maßnahmen reichen werden. Im Gegenzug verschieben die Krankenhäuser planbare Operationen und Behandlungen und für jedes leer geräumte Krankenhausbett gibt es eine Pauschale von 560€. Jedes zusätzliche Intensivbett mit Beatmungsmöglichkeit bringt der Klinik 50.000€
Das Gelaber vom Heldentum
Pflegekräfte sind rar und werden momentan „rekrutiert“. Dass viele dieser rekrutierten Pflegekräfte ausgebrannt aus miesen Arbeitsbedingungen der letzten Jahre geflüchtet sind, spielt keine Rolle. Oha, plötzlich ist Pflege „systemrelevant“. Demonstrationen und Streiks der letzten Jahre gegen den Pflegenotstand hatten die Arbeitgeber gezwungen, Vereinbarungen zur Entlastung und besserer Personalbemessung zuzustimmen. Umgesetzt ist dies noch lange nicht. Jetzt werden in den Krankenhäusern, die hart erkämpften Personaluntergrenzen für unbestimmte Zeit wieder ausgesetzt. Dabei waren die Stationen schon vor der Krise am Besetzungslimit. Die Systemrelevanz des Gesundheitswesens bedeutet in der Krise, dass 12 statt 8 Stunden gearbeitet werden darf. Auch die Regelung der Ruhezeit ist aufgeweicht. Sie kann um zwei Stunden verkürzt werden. Während der Laie sich vorstellt, dass Quarantäneregelungen an den Kliniken ein Vielfaches strenger sind als überall sonst, ist das Gegenteil der Fall. Wenn die Personalressourcen ausgeschöpft sind, sollen laut Empfehlung des Robert Koch-Instituts Angehörige des Personals künftig auch dann arbeiten, wenn sie mit dem Coronavirus infiziert sind aber noch keine Symptome verspüren. Auch die Auszubildenden müssen herhalten, um den Pflegenotstand zu lindern. Ihre Schulen sind geschlossen und sie werden nun auf die Schnelle in den Krankenhäusern für eine Praxis angelernt, für die sie noch nicht vorbereitet sind.
Eines Tages werden elektive Eingriffe und Behandlungen wieder aufgenommen. Werden dann die Personaluntergrenzen weiter ausgesetzt bleiben, damit man die Regelversorgung abarbeiten kann? Die neuen Ausnahmeregelungen gelten vorerst bis 30. Juni 2020.
Mundschutz kostet nun das 10fache – Pflege nicht
Die Auswirkungen der desolaten Pflegepolitik in den letzten Jahrzehnten schlagen sich in der häuslichen, der ambulanten Pflege, in den Pflegeeinrichtungen und zuletzt in den Krankenhäusern nieder. Nach jahrzehntelangen Sparmaßnahmen fehlt das Personal nicht nur in einer Notsituation wie dieser.
In der Krise tritt plötzlich der bürgerliche Staat wieder als „Retter“ auf und greift tief in den Markt und die Wirtschaft ein. Was entlarvt besser die Lüge von der Effizienz eines von Profit gesteuerten Systems. Dass es gerade die Profitorientierung und die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens war, die die Systemkrise herbeigeführt hat, während das Virus und die Pandemie als Katalysator, also Beschleuniger der Krise wirken, das kann man nun sogar in der wirtschaftsnahen Presse nachlesen. Bei den GesundheitsarbeiterInnen selbst ist das schon lange bekannt und auch ohne die extremen Herausforderungen einer Pandemie war das Gesundheitssystem auf der Kippe und die Pflegekräfte am Ende ihrer Kräfte. Darum gab es auch bis März 2020 sehr erfolgreiche Kämpfe der Pflegebeschäftigten, die sogenannten Entlastungskämpfe. Doch von den über 2 000 Krankenhäusern in Deutschland hatten bis dahin nicht einmal 20 eine Entlastungsregelung, wie z.B. mehr Personal auf Station, im OP und bessere Arbeitsbedingungen, erkämpft. (Und diese erkämpften Verbesserungen werden auch immer wieder von den Klinikleitungen unterlaufen – wie z.B. jetzt.)
Die Krise macht mehr als deutlich, dass nicht Banken systemrelevant sind, sondern Care- Arbeit wie Kinderbetreuung, Pflege, Lebensmittel- oder Gesundheitsversorgung die Dinge am Laufen halten – auch was die die menschliche Arbeitskraft anbelangt. Nach dieser Krise werden die Lohnabhängigen, die in diesen Bereichen arbeiten, wieder Unsichtbarkeit gedrängt werden und ihre Arbeitsbedingungen und die miese Bezahlung wird niemanden mehr interessieren. Und wie in jeder Krise werden es die Lohnabhängigen sein, die die Kosten bezahlen.
Vergesellschaftung des Gesundheitswesens! Jetzt!
Ob die Corona-Pandemie nun auch zum Katalysator von Entlastungskämpfen wird, hängt von den Pflegekräften selbst ab. Wenn sie sich gegen ihre rücksichtslose Ausbeutung weiter wehren, sich weiter vernetzen und organisieren, kann die Krise auch ein Wendepunkt zu einer am Menschen orientierten Pflege sein. Das würde den Gepflegten wie den Pflegenden zu Gute kommen. Allein aus Selbstschutz muss die Klasse der Lohnabhängigen, die ihnen zugewiesene Rolle als „HeldInnen“ zurückweisen und auf ausreichende Löhne, Arbeitsschutz und Ruhezeiten bestehen. 12-Stunden-Schichten und alleine zwei Stationen in der Nacht versorgen ist nicht heldenhaft sondern selbstmörderisch. Es bringt auch den PatientInnen nichts, wenn die Pflegekräfte so überausgebeutet werden und dadurch erkranken.
Pflegekräfte sind keine HeldInnen, sondern Menschen, die eine unverzichtbare Arbeit in der Gesellschaft leisten. Sie sind nicht nur in Zeiten der Krise systemrelevant, sondern immer. Ihre Arbeit, die Ziele ihrer Arbeit und die Organisation ihrer Arbeit den Profitinteressen der Konzerne oder den Interessen des Staates als Interessensdurchsetzer aller Kapitalien zu überlassen ist mörderisch. Menschen sterben, weil das Gesundheitssystem nicht nach menschlichen Bedürfnissen organisiert ist. Menschen sterben, weil das Gesundheitssystem nach Profitinteressen organisiert ist. Menschen sterben, weil Kostenpauschalen und Budgets ausschlaggebend sind, nicht die Erfahrung der PflegerInnen und ÄrztInnen.
Kurzfristig müssen die Fallpauschalen weg und mehr Personal her. Langfristig braucht es für eine menschliche Pflege die Vergesellschaftung der Einrichtungen des Gesundheitswesens. Denn Profitorientierung heißt nichts anderes, dass es ein Interesse an Pflegebedürftigkeit gibt und diese möglichst wenig Kosten verursachen soll. Das kann nicht Bedürfnisorientiert sein und so sieht es in den Pflegeeinrichtungen auch aus. Wie in alles Bereichen gilt es, sich zu organisieren und für eine Perspektive jenseits kapitalistischer Ausbeutung zu kämpfen.